Heute ist die britische Traditionsmarke Bentley den meisten nur als Hersteller von Luxuslimousinen bekannt. Dies war nicht immer so, ganz im Gegenteil. Begonnen hat Bentley vielmehr als Hersteller von Sportwagen, die in der Rennausführung zwischen 1924 und 1930 neben zahllosen anderen Rennen allein fünf Mal die 24 Stunden von Le Mans für sich entscheiden konnten. Im Jahr 2003, also 79 Jahre nach dem ersten Sieg, gelang es Bentley übrigens noch einmal, dieses legendäre Rennen zu gewinnen.
Nur 3024 Fahrzeuge sind während der Frühzeit der Firma zwischen 1919 und 1931 gebaut worden. Wenige davon sind bis heute erhalten geblieben, jedes davon eine kostbare Rarität. Eines aber ragt selbst aus diesem erlesenen Kreis hervor. Es ist das Fahrzeug mit der Fahrgestellnummer ST 3001 mit dem Spitznamen „Old Mother Gun“ das derzeit im Auto & Technik Museum Sinsheim überwintert und dort bis März 2013 besichtigt werden kann.
Gebaut wurde das Bentley-Fahrgestell Nr. 3001 im Juni 1927 in der 1919 gegründeten Bentley-Fabrik im Londoner Stadtteil Cricklewood. Damals war es bei vielen Herstellern noch üblich, dass die Fahrzeuge nur als Chassis, also als Fahrgestell mit Motor, ausgeliefert und dann nach Kundenwunsch mit einer individuellen Karosserie ausgestattet wurden. Bei „Old Mother Gun“ diente erstmals der neu entwickelte Bentley 4,5 Liter 6-Zylinder-Motor als Antrieb. Der Wagen ist somit der erste aus der Reihe der Bentley 4,5-Liter-Rennwagen, die im Rennsport der späten 1920er Jahre neue Maßstäbe setzten. Der Spitzname geht übrigens auf den Bentley-Rennfahrer und Firmenmäzen Woolf Barnato zurück der passend zur Fahrgestellnummer ST 3001 reimte „S-T-Three-O-O-One – Old Mother Gun!“.
Der erste Renneinsatz von „Old Mother Gun“ war spektakulär aber wenig erfolgreich. Nur wenige Tage nach der Fertigstellung ging der Wagen bei den 24 Stunden von Le Mans an den Start. In Führung liegend wurde er aber beim berüchtigten White House Corner Crash in einen Massenunfall verwickelt, bei dem sieben Fahrzeuge ineinander rasten. Zum Glück wurde niemand ernsthaft verletzt aber die Schäden waren so groß, dass eine Weiterfahrt nicht möglich war. Der Triumph war aber nur aufgeschoben. Im darauf folgenden Jahr nahm der Wagen erneut beim Rennen in Le Mans teil und fuhr, pilotiert von Woolf Barnato und Bernhard Rubin, für Bentley einen überlegenen Sieg ein.
Danach wurde es etwas still um „Old Mother Gun“. Der Wagen wechselte mehrfach den Besitzer, startete bei einigen kleineren Rennen und erhielt 1934 den 6,5-Liter-Sechszylinder-Motor des Speed Six, mit dem Bentley 1930 zum fünften Mal in Le Mans gewonnen hatte. Anschließend erfolgte ein Umbau zum Einsitzer, um das Fahrzeug bei Rekordfahrten auf dem Rennoval von Brooklands bei Weybridge in Surrey / England einsetzen zu können. Zur Gewichtsreduktion wurde außerdem in den Jahren 1936 / 1937 die alte schwere Metallkarosserie vom damaligen Besitzer Robert Jackson durch eine wesentlich leichtere Karosserie aus poliertem Aluminium ersetzt, die den Wagen noch heute ziert. Derart verbessert erreichte „Old Mother Gun“ auf dem Brooklands-Oval 1937 die für die damalige Zeit atemberaubende Durchschnittsgeschwindigkeit von 217 km/h.
75 Jahre sind seither vergangen und noch immer gehört „Old Mother Gun“ nicht zum alten Eisen. Der Hubraum des Motors wurde zwischenzeitlich auf 8 Liter erhöht und die Leistung auf 350 PS bei 4200 Upm gesteigert. Seit der letzten großen Überholung im Jahr 1989 hat der Wagen über 150 Einsätze bei Veteranenrennen auf der ganzen Welt erlebt und ein Ende ist nicht in Sicht. Bis zum März 2013 besteht jetzt die Möglichkeit, diesen einmaligen Zeugen der Rennsportgeschichte während seines Winterschlafs im Auto & Technik Museum Sinsheim zu bewundern.